Wadi Rum - bei Lawrence of Arabia

(aus Thomas Edward Lawrence "of Arabia": Aufstand in der Wüste)

Unser nächstes Ziel war die Rumm, wo der nördliche Brunnen der Beni Atiyeh lag, ein Tal, das schon jetzt meine Gedanken in Erregung versetzte, da selbst die nüchternen Howeitat mir seine phantastischen Wunder gerühmt hatten. Der kommende Morgen sollte uns durch seinen Anblick erfreuen. Doch schon sehr früh, als die Sterne noch glitzerten, weckte mich Aid, der ergebene Scherif der Harithi, der uns begleitete. Er kam zu mir herangekrochen und sagte mit trostloser Stimme: »Herr, ich bin erblindet.« Ich hieß ihn sich niederlegen und fühlte, daß Frostschauer ihn durchschüttelten; doch konnte er mir nichts weiter sagen, als daß er in der Nacht aufgewacht und kein Licht mehr in seinen Augen gewesen sei, sondern nur noch Schmerzen. Der Sonnenglanz hatte sie ausgebrannt.

Der Tag war noch jung, als wir, zwischen zwei ragenden Sandsteinnadeln, an den Fuß eines weiten flachen Hangs kamen, der von den hochgewölbten Bergen vor uns sanft hinablief. Er war mit Tamariskengebüsch bestanden und – wie man mir sagte – der Anfang des Tals von Rumm. Zu unserer Linken erhob sich eine langgezogene Felswand, die sich gleich einer tausend Fuß hohen Woge gegen die Mitte des Tals vorwarf; längs der rechten Talwand lief eine gleich hohe Kette steiler, rotzerklüfteter Felsen. Wir ritten, uns den Weg durch das spröde Unterholz brechend, den Hang hinan.

Im Aufstieg schloß sich das lose Buschholz zu Dickichten zusammen mit massigem Laubwerk, dessen tieferes Grün sich doppelt leuchtend abhob gegen die offenen Sandflecken von entzückend zartem Rosa. Die Böschung verflachte allmählich, bis das Tal zu einer engumgrenzten, leicht geneigten Fläche wurde. Die Berge zur Rechten wuchsen höher und schroffer, ein würdiges Gegenstück zur Umgrenzung links, die sich zu einem massiven Wall roten Gesteins aufsteilte. Beide Seiten rückten bis auf nur zwei Meilen Zwischenraum zusammen; und dann, allmählich sich auftürmend bis zu tausend Fuß über uns, liefen diese beiden parallelen Felsmauern in meilenlanger Avenue dahin.

Sie waren keine geschlossenen Felswände, sondern in gewaltige Blöcke aufgeteilt, die gleich riesigen Bauwerken zu beiden Seiten der Straße standen. Tiefe, fünfzig Fuß breite Querschlünde trennten diese einzelnen Massive, in deren Wände die Verwitterung gewaltige Buchten und Apsiden ausgerundet hatte, überdeckt von feinen Rissen und Furchen wie mit Ornamenten. Manche Höhlungen hoch oben am Steilhang waren rundbogig wie Fenster; andere, näher dem Boden, gähnten wie offene Tore. Dunkle Flecken liefen über Hunderte von Fuß an der beschatteten Front hinab, gleichsam als wäre sie geschwärzt von vielem Gebrauch. Diese klippenartigen Blöcke, vertikal gefurcht nach ihrer körnigen Struktur, ruhten auf einem zweihundert Fuß hohen Sockel von einer härteren und dunkler gefärbten Gesteinsart, der nicht wie der obere Teil in Längsfalten herabhing, sondern tiefe, gleichsam wie eingehauene Horizontalfurchen zeigte, ähnlich einer Quader-Grundmauer.

Die einzelnen Massive waren gekrönt von hochgewölbten Gipfeln, gleich Gruppen von Domkuppeln, nicht so brennend rot wie das übrige Gestein, sondern nur leicht getönt und mehr ins Graue spielend. Damit vollendete sich der Eindruck einer byzantinischen Architektur um diesen unvergleichlichen Ort, diesen Prozessionsweg, gewaltiger, als ihn Phantasie sich vorzustellen vermöchte. Die ganze arabische Armee hätte sich der Länge und Breite darin verlieren können, und zwischen den Felswänden hätte ein Flugzeuggeschwader in Formation manövrieren können. Unsere kleine Karawane wurde nachdenklich, und keiner sprach mehr ein Wort; man fühlte sich beängstigt und beschämt, sich mit seiner Geringfügigkeit breitzumachen inmitten dieser riesenhaft ragenden Berge.

Das ging so Stunden hin, während die Fernsicht immer gewaltiger und herrlicher wurde in ihren wohlgegliederten Umrissen, bis sich eine Schlucht in der Felsenfront zur Rechten zu einem neuen Wunder öffnete. Die Schlucht, eine vielleicht dreihundert Fuß breite Spalte in einer der Bergwände, führte zu einem Amphitheater von ovaler Gestalt – schmal nach vorn zu und breit ausladend nach beiden Seiten. Die Wände ringsum fielen fast senkrecht ab, wie stets in der Rumm, erschienen aber höher, da der kleine Kessel unmittelbar im Herzen einer beherrschenden Berggruppe lag und seine Winzigkeit die umliegenden Höhen übermächtig erscheinen ließ.

Die Sonne war hinter den westlichen Bergen verschwunden; der kleine Kessel selbst lag bereits im Schatten, aber die Felskulissen zu beiden Seiten des Eingangs, wie auch der stolze Koloß jenseits des Tals, waren vom Abendschein rotglühend überleuchtet. Der Boden rings um den Kessel war sandig und feucht, von dunklen Flecken niedern Buschwerks durchsetzt, während am Fuße all der Steilhänge Geröllblöcke lagen, größer als Häuser, manchmal in der Tat sich ausnehmend wie Bruchstücke von Festungswerken, die von den steilen Höhen ringsum heruntergestürzt wären. Vor uns führte ein viel begangener Pfad über die Randberge hin und wandte sich in gefährlichem Abstieg südwärts, längs eines flachen, mit einzelnen Laubbäumen bestandenen Rückens. Zwischen diesen Bäumen hindurch erklangen aus verborgenen Felsspalten seltsame Rufe: das langgezogene, singende Echo der Stimmen der Araber, die bei den dreihundert Fuß überm Talgrund entspringenden Quellen die Kamele tränkten.